I. Fargnoli u.a. (Hg.): Sklaverei und Recht

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Titel
Sklaverei und Recht. Zwischen römischer Antike und moderner Welt
Weitere Titelangaben
Berner Universitätsschriften


Herausgeber
Fargnoli, Iole; Späth, Thomas
Reihe
61
Erschienen
Bern 2018: Haupt Verlag
von
Elisabeth Herrmann-Otto

Der Sammelband «Sklaverei und Recht» enthält acht Beiträge, die auf Referaten basieren, die im Rahmen des interdisziplinären Münchenwiler Seminars der Universität Bern im Frühjahrssemester 2016 gehalten wurden. Die Herausgeber widmen den Sammelband dem Andenken einer früh verstorbenen Doktorandin am vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderten Forschungsprojekt «Eine Frage der Ungerechtigkeit? Sklaverei und Freiheitsdiskurse zwischen Antike und Moderne», das den Anstoss zu diesem Kolloquium gab.

Das Seminarthema, das Verhältnis zwischen Sklaverei und Recht, ist nicht allein Gegenstand einer mehr als 200 Jahre andauernden Forschungskontroverse, sondern betrifft uns als gesellschaftspolitisches und international rechtliches Problem bis in die Gegenwart. So haben die Herausgeber einen klugen Proporz zwischen vier Juristen, drei Historikern und einem Philologen geschaffen, um nicht nur interdisziplinär, sondern auch epochenübergreifend dem scheinbaren Paradoxon nachzugehen, wie das Unrecht der Versklavung zum Gegenstand von Rechtsordnungen werden konnte (S. 9). Dabei geht es einerseits darum, die Rezeption des antiken römischen Rechts durch die Sklavenrechte der europäischen Kolonialländer in ihren aussereuropäischen Kolonien in der Neuzeit dingfest zu machen oder zu verwerfen. Zum anderen stellt sich die Frage, wie nach Abschaffung von Sklaverei, sklavenähnlichen Verhältnissen und Sklavenhandel im 19. Jahrhundert und der Aufnahme des Sklavereiverbotes in die Menschenrechte als fester Bestandteil des Völkergewohnheitsrechtes und des zwingenden Völkerrechts im 20. Jahrhundert (S. 30) es im 21. Jahrhundert immer noch 40 Millionen Sklaven geben kann (S. 17). Die Antworten fallen teils konform mit den Traditionen der Fachdisziplinen aus, teils geben sie darüber hinausgehende neue Anstösse.

Wie die Herausgeber in der Einleitung darlegen, stehen sich in drei Themenblöcken je ein Jurist und ein Historiker bzw. ein Philologe gegenüber. Umrahmt werden die historischen Themen von aktuellen Thematiken. Jeder Beitrag hat ein eigenes Literaturverzeichnis, da Überschneidungen nur gering sind. Der Band schliesst mit einer kurzen Vorstellung der Autoren und Autorinnen. Register fehlen.

Walter Kälin gibt mit seinem Beitrag (Sklaverei: Eine Herausforderung für das Völkerrecht) einen fundierten Überblick über die 200-jährige Entwicklung der Sklaverei von einer völkerrechtlich erlaubten, modernen und fortschrittlichen Institution um 1800 zu einer rechtsverbindlich verurteilten, gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstossenden Praxis im 21. Jahrhundert (S. 20–28). Für die Fortexistenz der modernen Sklaverei in vielfältigen Formen (Zwangsarbeit, -prostitution, -rekrutierung, Menschenhandel, Schuldsklaverei etc.) macht der Autor die Staaten verantwortlich, die gegen die im Verborgenen, sozusagen im rechtsfreien Raum von Privatpersonen und -institutionen betriebenen Sklavereien und sklavereiähnlichen Praktiken ihren Verfolgungs- und Schutzpflichten nicht nachkämen. Gründe für das Versagen der Staaten sieht er vorrangig im ökonomischen Bereich, da die moderne Sklaverei eines der lukrativsten illegalen Geschäftsfelder der Gegenwart sei (150 Milliarden US-Dollar pro Jahr, S. 38).

Antonio Saccoccio eröffnet die Antike (Römische Sklaverei zwischen ius gentium und ius naturale) mit juristischen Widersprüchen, die sich aus der Sklaverei ergeben. Als Institution des ius gentium («Völkergemeinrecht» = ius commune omnium gentium, bessere Übersetzung als «Völkerrecht», S. 41–43) steht sie im Gegensatz zum Naturrecht = ius naturale, nach dem alle Menschen gleich sind. Der Beitrag steht unter der Prämisse, dass alles Positive im Römischen Recht aus der griechischen Philosophie stammt. Dennoch haben die römischen Kaiser auf der Grundlage des favor libertatis Verbesserungen für die Sklaven gebracht, ganz unabhängig von Philosophie und Christentum, das eher zur Verfestigung der Sklaverei beigetragen hat (S. 50–52).

Daniel Vaucher (Sklaverei in den vorkonstantinischen Kirchenordnungen: Überlegungen zum frühchristlichen Kirchenrecht) stuft die frühen problemorientierten Kirchenordnungen nicht als Kirchenrecht ein. Er sieht in ihnen keinen Praxisbezug, auch nicht in der einzigartigen Forderung der Syrischen Didaskalie zum Ausschluss grausamer Sklavenbesitzer aus der Gemeinde (S. 73). Auf Grund der «Realitätsfremdheit» und Normativität der Texte erkennt er ihnen lediglich zu, Spiegel der christlichen Meinungsvielfalt zur Sklaverei zu sein.

Wenn es um die Verflechtung der Rechtsordnungen in der Neuzeit geht, trennen sich die Wege der Disziplinen noch deutlicher. Linda de Maddalena zeichnet in ihrem Beitrag (Spuren des römischen Rechts im Code Noir) Schritt für Schritt und in grosser Klarheit den Vorbildcharakter des römischen Rechts für den code noir Ludwigs XIV. nach. Das zeigt sie konkret an der Doppelnatur des Sklaven und an der daraus erwachsenen unterschiedlich hohen Haftung des Herrn in den verschiedenen actiones. Als persona kann der Sklave Rechtsgeschäfte sowohl beauftragt wie unbeauftragt vornehmen, als res besitzt er nie Rechtsfähigkeit. Terminologische Analogien bestätigen die tatsächlichen und intendierten Gemeinsamkeiten beider Rechte (S. 97).

Eine noch stärkere Abhängigkeit vom römischen Recht als Subsidiaritätsrecht stellt Fabio Siebeneichler de Andrade in seinem Beitrag (Sklaverei in Brasilien: Die rechtliche Regelung vom Beginn der Kolonialisierung bis zur Abolition) fest. Auf Grund der zentralistischen Struktur Brasiliens, zuerst unter der Kolonialmacht Portugal, dann unter der brasilianischen Königsherrschaft, regelte das römische Recht neben den mittelalterlichen Rechten (seit 1603) alles bis zum Inkrafttreten des ersten Zivilgesetzbuches 1916. Bis heute sei die Sklaverei ein Teil der Identität des Landes (S. 154).

Zu ganz anderen Ergebnissen als die beiden Juristen kommt der Historiker Michael Zeuske (Sklaverei in der Neuen Welt – auch eine transrechtliche Sklaverei auf der Linie Afrika – Atlantik – Amerika?). Er vertritt die These, dass alle Sklavereien auf Gewalt, Instabilität und unklaren Rechtssituationen beruhten, trotz klarer im römischen Recht verankerter Rechtsregeln (S. 106). In ihnen sieht er einen ideologischen Überbau (S. 107). Der von den Kolonialmächten eingeführten Verschriftlichung erkennt er den Charakter einer blossen Ritualisierung der Transaktionsvorgänge zu, ohne Bedeutung für die Strukturierung des bereits bestehenden Labyrinths von Kredit- und Schuldenwirtschaft, die die afrikanischen Staaten und Stämme auf der Grundlage ihrer lokalen bzw. Gewohnheitsrechte weiter betrieben (S. 132–136). Mit dieser These liegt Zeuske auf der Linie der fachhistorischen Forschung, die in der Rezeption des römischen Rechts in den modernen Sklavenrechten lediglich «eine leere Muschelschale», praxisfern und sinnentleert sieht.1

Der Amerikanist Ulfried Reichardt untersucht differenziert an drei literarischen Beispielen aus der Hochzeit des Abolitionismus um 1850 die Paradoxien der Rechtspraxis, aus denen sich Rassismus und Zwangsarbeit als Herrschaftsformen trotz Abschaffung der Sklaverei entwickelt haben und bis heute bestehen. (Sklaverei, Freiheit und Eigentum: Zur Auseinandersetzung über die Sklaverei in der US-amerikanischen Literatur des 19. Jahrhunderts).

Hans Fässler, Historiker und Kabarettist, ruft zum Nachdenken über die Mitschuld der Schweiz an Sklaverei und Sklavenhandel als Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf, ohne dass sie je Kolonialmacht gewesen sei («Die Römer haben es nicht anders gemacht». Zur schweizerischen Komplizenschaft im Schwarzen Atlantik).

Abschließend ist zu bemerken: Anknüpfend an die rechtshistorisch orientierte Forschung mit ihrer berechtigten Betonung der praktischen Relevanz des Rechts für die Regelung der historischen Sklavereien müssen wir auch heute wieder zur verantwortungsvollen Praktizierung des Völkergemeinrechts zurückfinden, wenn nicht alle Menschenwürde in den rechtsfreien Räumen des Turbokapitalismus zugrunde gehen soll.2 Vor diesem Hintergrund leistet der vielstimmige Sammelband einen wesentlichen, aber keineswegs abschließenden Beitrag zu dieser wichtigen und brisanten Problematik.

1 Vgl. Jürgen Osterhammel, Sklaverei und die Zivilisation des Westens, München 2009, S. 46
2 Siehe Sven Korzilius, s.v. Sklavenrecht, frühneuzeitliches, in: Heinz Heinen, u. a. (Hg.), Handwörterbuch der Antiken Sklaverei (HAS), Bd. 3, Stuttgart 2017, Sp. 2647–2682; C.K. Meyer, s.v. Sklavereien in der Neuzeit, in: ebd., Sp. 2776–2826, besonders Sp. 2795–2808.

Zitierweise:
Herrmann-Otto, Elisabeth: Rezension zu: Fargnoli, Iole; Späth, Thomas (Hg.): Sklaverei und Recht. Zwischen römischer Antike und moderner Welt, Bern 2018. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte 70 (2), 2020, S. 307-309. Online: <https://doi.org/10.24894/2296-6013.00063>.

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